Ich möchte in diesen Interviews alleinerziehende Frauen und Männer vorstellen, die von ihren persönlichen Strategien berichten, um einer Erschöpfung zu entgehen oder mit ihr umzugehen. Ich erhoffe mir von diesen Interviews, dass wir uns gegenseitig Anregungen und Hilfestellungen geben. Es geht mir NICHT darum ein perfektes Leben darzustellen! Ich möchte mit den Interviews Mut machen und anderen zeigen: „Ich bin nicht alleine.“
Es geht hier nicht darum, den ehemaligen Partner/in, das Rechtssystem oder politische System massiv anzuklagen. In diesem Interview geht es alleine um deine innere Einstellung und was Du selbstverantwortlich tun und verändern kannst um einer Erschöpfung vorzubeugen. Falls es doch passiert ist, was nicht selten vorkommt, dann berichte sehr gern darüber.
Ich heiße Nadja und bin 36 Jahre alt. Ich bin Sozialpädagogin und arbeite mit suchtkranken Menschen. Mich begeistern eine Menge Dinge. (Malen, Tanzen, Musik, Kochen, Möbel umgestalten, alles rund ums Wohnen, Ayurveda, Psychologie usw.). Also ich habe noch genug auf der Agenda, wenn mein Kind groß oder zumindest größer ist. Jetzt gelingt es mir in Bruchstücken mich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Nur gut, dass ich auch in Sachen Vorlesen, Rollenspiel, Verkleiden, auch Tanzen und Malen begeisterungsfähig bin.
Ich bin seit knapp 1,5 Jahren alleinerziehend und habe ein dreijähriges Kind. Einen kompletten Tag ohne mein Kind habe ich nicht.
Drei Abende hatte ich in den 1,5 Jahren für mich. Da hat die Oma aufgepasst.
Es war kurz vor Weihnachten, ich hatte eine heftige Erkältung und hatte mich an dem Tag schon krank zur Arbeit geschleppt. An dem Nachmittag fiel mein Kind vom Klettergerüst und es sah zunächst nicht gut aus. Sowas hatte ich noch nicht erlebt (Luftnot, nicht laufen können, schreien und weinen). Es kamen direkt andere Mütter, die meinten sofort ins Krankenhaus zu fahren.
Ich war jetzt also gefragt und sollte entscheiden was zu tun ist.
Da mich das Bild von inneren Blutungen nicht losließ, fuhr ich ins Krankenhaus. Ich wußte von einem Notdienst am Krankenhaus, fand aber nur weit entfernt einen Parkplatz. Beim Notdienst hing ein Schild, dass jetzt noch der Haupteingang aufzusuchen sei. Wo verdammt nochmal ist hier der Haupteingang? Ein riesen Komplex das Ganze, ich konnte nicht mehr. Ich schleppte gefühlte 100 km dieses Kind was jammerte und weinte.
Ich fühlte mich wie der letzte Mensch auf dieser Welt.
Körperlich angeschlagen und mit den Nerven durch, schimpfte vor mich hin, warum die Beschilderung so mies sei.
Im Wartezimmer waren zwei kleine Jungs und mein Kind tobte mit ihnen herum. Sie hatte sehr viel Spaß an der Untersuchung und bekam einen Wutanfall als sie dort nicht bleiben durfte.
Mama ist doch toll hier im Krankenhaus, was guckst du mich so böse an?
Ich war innerlich ein Vulkan, einerseits froh dass nicht schlimmes passiert war, andererseits entlud sich wohl sämtliche Anspannung und Anstrengung in totale Traurigkeit und irgendwie auch Selbstmitleid.
Warum muss ich das hier alles alleine machen und dann noch mit Gliederschmerzen und verstopfter Nase?
Die Situationen in denen es um die Gesundheit von meinem Kind oder auch mir geht, sind die Momente die wirklich hart sind und da gibt es wenig Lösungen.
Ich muss da durch. Vielleicht hilft es zu akzeptieren, dass das nun einmal so ist.
Bei akuten Sachen (wenn ich z. B. zum Notarzt muss) rufe ich Freundinnen oder meine Mutter an. Das ist zumindest eine rein technische Lösung. Emotional bin ich eben auf mich selbst angewiesen, auch die Nächte in denen es dem Kind schlecht geht, bleiben unschön.
Zu Beginn waren diese Situationen für mich wie ein Horrorfilm und ich glaube mein Körper war auch voller Adrenalin. Mir hat geholfen mich über Krupp-Husten, Nachtschreck, Fieber usw. zu informieren. Dann habe ich mit anderen Müttern gesprochen und letztendlich bin ich jetzt ruhiger. Ich kenne meine Hausmittel der Wahl und die Fixpunkte, an denen ich festmache ob etwas normal oder gefährlich ist.
Ohja, ein AHA-Moment war folgender: Ich kam (nach der Trennung) vom Spielplatz mit meinem Kind und mir war aufgefallen, dass ich mich wirklich auf das gemeinsame Spielen konzentriert hatte und recht gut drauf war.
Das ist so besonders, weil ich vor der Trennung voller Wut und Ärger mit meinem Kind zum Spielplatz gegangen bin. Ich war so sauer, immer alleine zum Spielplatz zu müssen.
Ich habe mich so einsam gefühlt, dass es schmerzte.
Dann habe ich überall liebevolle, engagierte Väter gesehen. Als ob die Welt nur noch aus Super-Vätern bestünde. Dann und wurde ich todtraurig, dass mein Kind nicht so einen Vater hat.
Das war nach der Trennung weg! Bis heute war ich nicht mehr traurig auf dem Spielplatz. Höchstens mal gelangweilt oder genervt. 🙂
Für mich ist das eine positive Veränderung. Ich habe mich verabschiedet von der Phantasie, was alles sein könnte und warum mein Kind und ich das nicht haben. Zumindest was den Spielplatz angeht:-)
Ich arbeite mit dem was das Leben mir gibt. Anders geht es nicht.
Ich bin besser geworden. Nach Hilfe zu fragen, mache ich auch heute echt nur wenn es ein Notfall ist. Ich sehe ja was die Menschen um mich herum auch alles erledigen müssen und käme mir blöd vor nach Hilfe zu fragen, wenn nicht wirklich Alarmstufe rot oder orange ist.
Aber ich lerne langsam etwas konkreter und deutlich zu werden, dennoch ist das wirklich noch eine Baustelle.
Liebe frische Alleinerziehende, gehe ins Internet und sei diszipliniert mit all den äußeren Rahmenbedingungen (Anträge, Steuer, Information an alle die es wissen müssen), mach einen Finanzcheck und verschaffe Dir einen Überblick, gehe zu Beratungsstellen, die kostenlos sind und die sich auskennen.
Bei allem anderen: Sei um Himmels willen nicht perfektionistisch unterwegs. Deine Wohnung muss top aussehen, Du auch, dein Kind ebenfalls. Oder Kuchen noch selbst für das Kitafest backen, während Du eigentlich schlafen müsstest.
Setze Prioritäten und halte Dich daran!
Schaffe Dir ein schönes Notizbuch an. Als Alleinerziehende gibt es Phasen in denen man wenig Zeit oder Kraft hat sich mit irgendwas anderem außer Alltagsbewältigung zu beschäftigen.
Doch es kommt eine Stunde, wo man plötzlich Energie hat oder auch Zeit und dann weiß man eigentlich gar nicht so genau wohin mit sich.
Hierfür ist das Notizbuch gedacht, ich mache das so:
Ich schreibe da alles rein was mir zufällig begegnet und worüber ich gern mehr erfahren oder was ich gern machen würde.
Internetseiten, Buchtitel, Rezepte, interessante Menschen, Sprüche, Sätze, die Kraft haben oder Ideen von mir und Wünsche. Z. B. Herausfinden was Nia ist, ein Smoothie Rezept, Film Woodstock in Timbuktu, Yoga Nidra, Biokiste liefern lassen?? – das sind so Schlagwörter von mir.
Hier passt natürlich auch rein: Was mache ich mit Kindern bei Regen? Ich fülle die Liste über Wochen und dann hab ich irgendwann etwas Gutes für den Tag x.
Ja selten, aber manchmal schon. Was Gutes tun, ist nicht so oft. Aber dann genieße ich es umso mehr:
Wir sehen die Dinge nicht so wie sie sind, wir sehen sie so wie wir sind. Talmud
Das macht deutlich wie biegsam unsere Realität ist – und wenn sie belastend erlebt wird, geht es vielleicht auch andersherum.
Wenn ich tue was ich liebe, muss ich nie wieder arbeiten.
Dieser Satz animiert mich, alles was ich tue mit Liebe zu tun oder ich muss dringend was ändern.
Und ein guter Trick, der mir zu 89 % hilft: Mich in schwierigen Situationen zu fragen:
Was ist jetzt das Schlimmste was passieren kann? Und wenn es dann so kommen würde, was wäre dann? Wäre mein Leben oder das Leben meines Kindes bedroht?
Ich könnte so einige Bücher aufzählen, dennoch ist es in der letzten Zeit am ehesten:
Das ist die Baustelle Nummer 2.
Mir fehlt der Austausch mit anderen Müttern und auch Unternehmungen.
Manchmal reicht es auch, dass ich mir mit Freundinnen ein paar Handynachrichten schreibe, dann gehts wieder. Dennoch fehlt etwas und der Umgang damit ist mir noch nicht so gut gelungen. Ich versuche mich dann abzulenken, früh schlafen gehen oder Briefe schreiben. Ich habe leider keine Lösung, außer sich klar zu machen, was der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit für einen selbst bedeutet.
Pläne sind ja toll aber haben in der Regel nichts mit dem Leben von Alleinerziehenden zu tun.
Ich werde immer mehr zu einem sehr flexiblen Organisationstalent – eine Art Chamäleon, wenn schon ein Plan, dann habe ich auch noch Plan B oder C parat.
Situationen die mich früher umgehauen hätten, bringen meinen Puls heute noch nicht zum höher schlagen. Ich erlange Vertrauen in mein Selbst und mein Handeln.
Und auch darin Fehler machen zu dürfen/können/müssen, um überhaupt noch was zu lernen und weiterzukommen.
Was ich unbedingt erleben will…und was es für ein Leben nach der „klassischen Familie“gibt:
Als mein Notizbuch noch nicht so voll war wie jetzt, habe ich mich auf einem Dating-Portal angemeldet und innerhalb der Chats kam dann die Frage
Hast du auch so eine 14 Tage-Regelung mit deinem Ex?
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich musste laut loslachen. Darüber hatte ich mir gar keine Gedanken gemacht, dass ich ja überhaupt keine Zeit habe, mich mit jemanden zu treffen – also ohne Kind – wie naiv kann man sein.
Aber da wurde mir auch klar, ich will lieber einen Yogakurs machen, wenn ich denn mal frei hätte oder einen Malkurs. Ein Wellness Wochenende oder Seminar besuchen. Ganz zu schweigen von „einfach dumm herumsitzen und gar nichts tun“. Mein Kind braucht viel von mir und ich brauche auch gerade sehr viel.
Ich bin nicht bereit mir am Abend die Stories von der Arbeit des Anderen anzuhören oder Sport im Fernsehen zu schauen, obwohl ich lieber meine Ruhe hätte. Eine Beziehung ist Arbeit und ein Kompromiss. Und das ganze dann noch mit Kind. Das ist mir wirklich zuviel. Was sich da alles für neue Problemfelder aufmachen…
Anders sieht es aus mit Gemeinschaft ohne Partnerschaft. Ein Haus mit Garten mit jemand anderes, der auch alleinerziehend ist. Und das Schönste wäre, wenn mein Kind nicht als klassisches Einzelkind groß wird, sondern mit jemand anderes zusammen.Das stelle ich mir super vor. Auch wenn es da bestimmt auch Herausforderungen gibt.
Ich gebe gerne, doch zurzeit nur im Tausch weil die Kraft und Energie knapp ist. Ich habe gerne einen Abend die Woche zwei Kinder zu bespaßen, wenn ich am anderen Tag mal ganz frei habe. Oder ich kaufe gerne für jemand anderes mit ein, wenn an dem Tag mein Kind von der Kita abgeholt wird. Ich koche auch gern für mehrere, das entspannt mich dann sogar, wenn jemand anderes den Kuchen für das Kitafest macht.
Naja, so ist zumindest gerade der Traum…
Ansonsten lehrt mich das alles, mutiger zu sein und in Zukunft beruflich und auch privat völlig neue, unkonventionelle Wege zu gehen.
ACHTUNG: Nadja hat eine eigene Webseite (Mama macht das schon) und organisiert Treffen rund um Essen und Umgebung.
Liebe Nadja, vielen Dank, dass wir einen Einblick in dein Leben bekommen durften. Möchtest du Nadja etwas sagen? Dann kannst du das jetzt hier in den Kommentaren tun.
Ich freue mich, von dir zu lesen.
Alles Gute für dich und deine Kinder.
Alexandra
P.S. Nur wenn es dir gut geht, dann geht es auch deinem Kind gut.
Bild Pixabay
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wenn Du möchtest melde Dich doch mal über meine Webseite bei mir. Mich würde es auch sehr interessieren, wie Du das angegangen bist. Ich investiere gerade sehr viel Zeit und Arbeit in den Aufbau eines Netzes in meiner Stadt, weil ich nicht glauben kann, dass es keinen Bedarf gibt. Mein Projekt richtet sich genau an die Alleinerziehenden, die wenig oder sogar keine Unterstützung im Alltag haben.
Liebe Grüße Nadja
Ich bin 41 mit einer 7 jährigem Tochter ohne Väterwochenenden und ohne Familie in der Nähe. Ich bin seit 6 Jahren alleinerziehend und mir fielen und fallen auch die Zeiten am Schwersten, wo einer von uns nicht funktioniert, sprich krank ist, Sorgen hat etc.
Ich bin jetzt seit 3 Jahren Vollzeit berufstätig, aber vorher habe ich nur Teilzeit gearbeitet und habe Alleinerziehendentreffen in meinem Ort organisiert.
Ich habe das Glück in meinem Umfeld vernetzt zu sein, daher kann ich nur jedem Raten aktiv zu werden. Ich gebe auch gerne Infos, wie man so etwas angehen könnte falls Interesse besteht.
Alles Liebe für Euch alle und danke für diesen tollen Blog/Website.
Pamela
ich danke dir und mich würde es wirklich interessieren, wie du dich vernetzt hast. Wie bist du aktiv geworden.
Bitte melde dich nochmal bei mir.
Viele Grüße Alexandra Widmer
Beste Grüße Alexandra Widmer
ich bin heute neu hier zugestoßen und finde mich in dem Artikel in soooo vielen Aussagen wieder.
Die verflogene Wut...
die veränderte Wahrnehmung...
die Einsamkeit, die manchmal auch engste Freunde nicht vertreiben können...
die Hoffnung auf Gleichgesinnte...
Frage an alle, die schon länger hier sind: kommt jemand aus Hessen PLZ-Bereich 64?
Auch ich würde mich gerne einer Community anschließen....!
Lieber Gruß
M
LG, Julia
Dein Aufruf ist zwar schon 1 Jahr her😃 Aber ich komme aus Hessen und hätte Interesse an neuen Kontakten.
Falls Du noch Gleichgesinnte suchst kannst du dich gerne melden.
Liebe Grüße
Theresa
Das Alleinerziehend und auch das Mutter-Sein lehrt mich sehr viel - im Moment glaube ich, es ist ein ziemlich differenziertes Coaching. Und das was mich am meisten verblüfft: mein Kind und die ganze Situation betreffen genau den Lebensbereich, der es für mich in sich hat. Und wahrscheinlich könnte ich ein Buch darüber schreiben wie mein Kind mich zurückführt in meine Kindheit und ganz dicht zu meinen Eltern. Es ist fast etwas unheimlich. Und wahnsinnig spannend - daher nicht gerade relaxt;-)
"Ansonsten lehrt mich das alles, mutiger zu sein und in Zukunft beruflich und auch privat völlig neue, unkonventionelle Wege zu gehen."
Ja, das Alleinerziehend-Sein lehrt einen, immer wieder kreativ zu werden und Ungewöhnliches auszuprobieren. Manchmal hat man dann damit zu tun, als "Träumerin" oder "realitätsfern" bezeichnet zu werden, aber Realität ist was sehr Relatives ;-)
das ist echt schade, bin leider zu weit weg von Berlin. Meiner Internetrecherche nach ist es in Berlin und Hamburg wohl etwas leichter mit solchen Lebensentwürfen- auch auf wg-suche ehemals noknok, finden sich einige Interessenten. Ich versuche gerade herauszufinden ob ich hier falsch wohne oder einfach nur eine von wenigen bin, die mit iher Vorstellung nach draußen geht.
Ich wünsch Dir die Menschen für das Haus im Grünen :-)
Alles Gute und liebe Grüße
Nadja
ich lese deinen Text. Exakt wiedererkannt ha e ich mich, dass di Wut, alles alleine zu machen verflogen ist, wenn man getrennt ist. Einsam bin auch auch oft, kann es mir aber zeitlich nicht erlauben, unter der Woche "Erwachsenenprivates" zu machen. Im Sommer ist es entspannter, im Freibad oder Biergarten trifft man dann sowieso alle Bekannten, auch ohne Verabredungen. Ich habe ein Kind. Bis seit 4 Jahren EZ, selbstständig und seit bald 2 Jahren zusätzlich noch in 70% Anstellung. Mein Sohn ist an den Wochenenden oft bei seinem Vater. Das ist toll!
Ich wünsche mir auch eine Art Gemeinschaft mit Gleichgesinnten oder ein Netzwerk, in dem man sich verbinden und gemeinsam stark auftreten kann, für die Interessen der Kinder und Eltern eintreten kann.
Viele Grüße Alexandra Widmer
schön, dass mein Beitrag solche Kommentare bekommt. Das tut gut und vielleicht wird sich ja in Sachen Gemeinschaft und Netzwerk noch viel tun und wir verbinden uns alle zumindest schon einmal per Netzwerk am Computer.
Liebe Grüße
Nadja
vielen Dank für Dein Feedback und Deine Wünsche bezüglich der "Kladde". Das kann ich gut gebrauchen.
Dir auch ein wunderbares Wochenende.
Herzliche Grüße
Nadja
Liebe Grüße Alexandra Widmer
Dir alles Gute!
Liebe Grüße
Nadja
Was denkst du?