Alleinerziehende in der Gesellschaft – Wie du das Image ändern kannst

Die Gesellschaft hat ein negatives Bild von Alleinerziehenden.

Wie kann ich das ändern?
Oder wie kann ich erreichen, dass es mich nicht mehr so berührt?

Diese Frage sendete mir Julia und in Absprache mit ihr darf ich diese Mail anonym veröffentlichen:

Gespräche unter Müttern 

Gerade stand ich mit mehreren Müttern vor dem Kindergarten. Eine Mutter berichtete über ein Mädchen aus der Schulklasse ihrer Tochter, die sehr aggressiv und auffällig agiert.
 

Der Grund für dieses Verhalten lag bei allen Müttern schnell auf der Hand, schließlich sei die Mutter ja auch alleinerziehend. Zwar Juristin, aber halt geschieden – da sei das Kind ja schwer belastet mit einer Trennung. Wann und wie die Trennung war, wusste keine.
 

Mein Einwand, dass es auch viele, viele andere Gründe für auffälliges Verhalten gäbe, und ich in meinem Bekanntenkreis einige sehr schwierige Kinder kennen würde, die alle aus intakten Familien kämen, wurde gar nicht beachtet. Mein, zugegeben nicht gerade souverän wirkendes  Ich kenne auch viele verhaltensauffällige Kinder die blond sind, aber man könne doch trotzdem nicht sagen, alle blonden Kinder seien verhaltensauffällig“,  wurde gar nicht mehr gehört.
 

Solche Situationen erlebe ich leider häufig. Es macht mich sehr wütend und traurig. Ich fühle mich stigmatisiert, und habe große Angst, dass mein Sohn ebenfalls irgendwann solche Reaktionen anderer Menschen erlebt. Es bereitet mir Sorge, dass auch er von solchen Kommentaren traurig werden könnte, und ich möchte ihn vor solchen Meinungen behüten.
 

Ein Kompliment?

Im Kindergarten sagte mir die Leiterin neulich, man würde meinem Kind gar nicht anmerken, dass ich alleinerziehend sei. Es war als Kompliment gedacht, aber ich fühlte trotzdem einen Stich. Solche Kommentare prägen meiner Meinung nach auch die Kinder, und sie erleben sich als defizitär.
 
Zum großen Glück hatte ich bislang keine Erziehungsprobleme, habe aber oft Sorge, dass ich irgendwann auch einmal dem Vorurteil begegne, dass sämtliche Probleme, die eventuell auftreten, meiner Trennung zugrunde liegen. 

Mein Sohn ist inzwischen 5 Jahre alt. Als er 7 Monate alt war, trennte sich sein Vater von mir. Ich erziehe ihn komplett allein. Sein Vater besucht ihn alle zwei Wochen und verbringt einen halben Tag mit ihm.

Ich habe allergrößte Energie investiert, von Anfang an keinen Streit mit ihm zu führen, und ein entspanntes Verhältnis zu leben, damit mein Sohn keine Spannungen erleben muss.
 

Des Weiteren habe ich einen guten Beruf, keinerlei existentiellen Sorgen, tolle Eltern und Freunde, die mich unterstützen.

Klar, bin ich auch manchmal gestresst und traurig, ich versuche aber stets das Positive zu sehen. Ein perfektes Leben gibt es nicht.

Das alte Image

Das ausschließliche Bild, was die Gesellschaft meiner Erfahrung nach oft von Alleinerziehenden hat, ist das der kettenrauchenden Person, ständig überforderten, bildungsfernen Frau, deren armen Kinder randalieren oder drogensüchtig werden.

Ich weiß, dass es viele Frauen gibt, die sehr unter der Situation leiden, und auch nicht alle über die gleichen Voraussetzungen und Kompetenzen zur Veränderung verfügen. Auch ich leide manchmal, und weiß, wie hart es sein kann.

Ich weiß um die gesellschaftlichen Missstände und Ungerechtigkeiten zum Thema Steuern, Unterstützung, Unterhalt, etc. alleinerziehende Frauen sind häufiger von Armut und Depression betroffen. Ja, das alles stimmt und muss thematisiert und geändert werden!

Das neue Image

Aber es gibt auch sehr viele Frauen, die die Situation (trotzdem) toll meistern, die nicht überfordert und ausgebrannt sind, deren Kinder wunderbar glücklich, sozial und intelligent sind.
Ich fühle mich heute durch die durchgemachte Trennung stärker als früher, davon profitiert auch mein Kind.

Alleinerziehend muss nicht immer ein Manko sein.  Wie wäre es, es mal als Kompetenz zu sehen?

Vielleicht ist mein Sohn ja so toll entwickelt, gerade weil ich fast meine gesamte Energie darauf ausrichten kann, ihn zu befähigen ein glücklicher, selbstbewusster Mensch zu werden. Bei mir gibt es keinen Partner, mit dem ich mich täglich auseinandersetzen muss, oder über verschiedene Ansichten bzgl. Erziehung diskutieren muss. Meine Freundinnen klagen oft, und sagen manchmal scherzhaft, sei froh, dass du allein bestimmen kannst und nicht immer Streit wegen des Kindes hast.

Mein Wunsch wäre eine größere Wertschätzung und Anerkennung für die Leistungen von Alleinerziehenden. Zugleich mehr staatliche Unterstützungsmaßnahmen und auch die Einsicht, dass Kinder aus diesen Familien genauso gut behütet werden und entwickelt sein können wie alle anderen Kinder auch.

Vielleicht muss ich aber auch einfach nur davon abrücken, zu meinen, es allen anderen beweisen zu müssen, dass mein Kind trotz Trennung bestens ist.

Es ist jetzt leider doch keine kurze Frage, sondern eine längere Mail geworden
Viele liebe Grüße aus Essen von Julia.

Meine Antwort:


Liebe Julia,

vielen Dank für deine Mail und Frage. Ich habe im Laufe der Zeit mit vielen verschiedenen Alleinerziehenden gesprochen und festgestellt, dass es erhebliche Unterschiede in der eigenen Wahrnehmung und Einstellung von Alleinerziehenden gibt.

Zwischen den Stühlen

Die Frage ist, ob wir UNS SELBST die Brille alleinerziehend anziehen wollen, oder nicht?

Mit diesem Projekt und der häufigen Erwähnung des Wortes alleinerziehend sitze ich etwas zwischen den Stühlen.

Einerseits möchte ich darauf aufmerksam machen, dass jede/r alleinerziehende Mutter/Vater auf ihre/seine Gesundheit achtet.

Andererseits kann ein Beziehungsstatus NIEMALS über den Wert einer Frau und Mutter und ihre Fähigkeiten bestimmen.

Genau zu diesem Thema und warum ich das Wort alleinerziehend nicht mag, habe ich bereits einen Artikel geschrieben.

Einfluss auf die Gesellschaft

Meine Annahme ist, dass wir die Gesellschaft nur erreichen, wenn wir SELBST ein positives Bild und Image von Eltern entwickeln, die ihren Alltag mit dem Kind zu großen Teilen allein bewältigen.

Wir können nicht von anderen fordern: Erkenne mich nun endlich an, wenn wir es selbst nicht tun.

Du liebe Julia schreibst so treffend: Alleinerziehend zu sein, kann auch eine Kompetenz sein.

Niemand, der selbst jemals in dieser Situation war, wird wirklich nachvollziehen können, was das bedeutet. Deswegen sind jegliche abwertende Kommentare ein Zeichen von Dummheit, Angst und fehlender Reflexion der anderen Person.

Menschen suchen sehr gern nach kausalen Zusammenhängen, um sich das Leben zu erleichtern. Besonders Mütter aus intakten Beziehungen versuchen so ihre Ängste vor dem eigenen Versagen zu verdrängen.

„Der Johann hat den Emil geschlagen. Das liegt daran, dass die Mutter alleinerziehend ist.“

„Die Klara ist im Unterricht so unkonzentriert und oft sehr still. Das liegt daran, dass……“

Was du tun kannst 

Sei freundlich und geduldig mit dir selbst und achte deine Gesundheit mehr denn je. In diesem Moment darfst du die Brille alleinerziehend nutzen. Doch sonst setzt die Brille bitte immer mal wieder ab.
In erster Linie bist du eine tolle Frau und Mutter, die stolz auf sich sein kann.
Und dann änderst du auch die Gesellschaft!